Dokumentation als Kunst
Die Photos „Bruchlandungen“ von Martin Bruch, bestehend aus 312 photographischen Dokumentationen von Stürzen mit Datum und Uhrzeit, ist ein Werk, das vor allem die Zeit und das Unvorhersehbare thematisiert.
Kein anderes Medium in der bildenden Kunst, nur die Photographie ist geeignet, stets wechselnde Situationen und Ereignisse festzuhalten. Die Realität dieser Momente im Fluß der Zeit ist künstlerisch, aber auch philosophisch von größter Bedeutung.
Die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit allen Geschehens bestimmen die Wirklichkeit. Selbst bei einer vollkommenen Reproduktion der Dinge und Szenerien wäre alles doch unvermeidbar in einem anderen Raum und in einer anderen Zeit.
Daß Martin Bruch seine eigenen Stürze und nicht etwa die von ihm abgesetzten, ihn nicht unmittelbar berührenden Ereignisse auf der Straße dokumentiert, verleiht seinen Photos eine brisante existentielle Relevanz.
Hier geht es um ihn selbst, das Bildmotiv ist eng mit seiner Person verbunden. Dem entspricht die formale Struktur seiner Bilder. Im Sturz verändert sich das Sichtbare in einem einzigen Augenblick. Nur langsam stellt sich wieder eine Kontinuität her zu dem, was vorher war. Die meisten Gegenstände im Raumerscheinen in Untersicht. Die Faszination vieler seiner Photos erklärt sich aus der Umsetzung eines vertrauten Dingzusammenhangs ins Ungegenständliche oder Verfremdete durch den Zufall. Seine Umgebung zeigt sich in einer ungewöhnlichen Perspektive. Die abgebildeten Objekte sind oft nur Fragmente, ihre Identifikation ist manchmal schwierig. Personen sind selten zu sehen und wenn, dann überrascht vom Sturz des Photographen.
Der Körper des Künstlers selbst kann – der Aufnahmesituation entsprechend – immer nur im Vordergrund und nur in engen Bildausschnitten sichtbar sein.
Der konzeptuelle Ansatz des Werkes von Martin Bruch wird am deutlichsten in den an Stelle von Photos eingestreuten schwarzen Flächen. Bei diesen Stürzen gab es keine Gelegenheit zu Photographieren. Geblieben aber sind die Angaben des Ortes und der Zeit. Der Leser kommt durch sie zu einer vorgestellten Situation, die auf diffuse Weise mit den Szenerien der anderen Bilder korrespondiert.
Die Photos von Martin Bruch sind das künstlerische Resultat eines subtilen Konzepts, das sich in seiner Komplexität auf elementare Probleme des Persönlichen und auf das Sichtbare und seine durch äußere Umstände plötzlich verursachten Veränderungen bezieht.
Heinz Gappmayr
2001